Als die Soldaten kamen

Im Krieg, sagt Großvater, da waren wir Männer, weißt du, Junge, richtige Männer.

Im Krieg, da muss man zusammenhalten, einer für alle, alle für einen.

Im Krieg, da hilft man den Kameraden, und die Kameraden helfen dir. Da ist keiner allein, denn allein, da kann man es nicht überleben.

Im Krieg, sagt Großvater, da zeigt sich erst, wer du wirklich bist. Ob du ein Feigling bist oder tapfer. Ob du echten Mumm in den Knochen hast oder nur ein Angeber bist.

Im Krieg, sagt Großvater, da kannst du nicht lang überlegen.

Im Krieg, da heißt es parieren. Wenn befohlen wird, lauf! dann läufst du, und wenn befohlen wird, schieß! dann schießt du.

Im Krieg, da fragst du dich nicht, warum? Im Krieg, da tust du, was getan werden muss.

Im Krieg, da musst du dich nicht entscheiden.

Im Krieg, da sorgst du dich nicht um morgen. Im Krieg, da ist immer nur jetzt.

Im Krieg, sagt Großvater, da wirst du hart. Da lernst du über Berge springen und durch Wüsten schwimmen, da lernst du Dreckwasser saufen und deinen Hunger fressen. Da ziehst du mit deinem Gewehr durchs Polareis und durchs Vulkanfeuer, da steigst du über brennende Lava und tauchst unter Eisschollen durch und alles, was dich kümmert, ist, dass dein Gewehr immer trocken bleibt.

Im Krieg, da rettest du deinem Kameraden zehnmal am Tag das Leben, und dein Kamerad sagt: he, danke, Kumpel, und: ist schon in Ordnung, sagst du, und da braucht’s keine großen Worte, da genügt ein Händedruck und man versteht sich.

Im Krieg, da gibt es wahre Freundschaft.

Im Krieg, da teilt man den letzten Bissen und den letzten Schluck Wasser und die letzten paar Schuss Munition.

Im Krieg, sagt Großvater, wenn du da einmarschierst mit den anderen in eine eroberte Stadt oder in ein Dorf, da rennen die Mädchen davon und verstecken sich, und dann gucken sie hinter Fenstervorhängen heraus mit ihren sehnsüchtigen Augen oder sie kommen schüchtern hervor und bringen Obst oder Wein und lächeln verschämt und du gibst ihnen von deiner Ration, du hast Schokolade aufgehoben für sie und du fasst sie unters Kinn und schaust in ihre Augen und küsst sie, und dann gehst du weiter, denn es gibt noch viele Mädchen in den eroberten Städten und die Sehnsucht war groß all die Jahre.

Und wenn du dann heimkommst als Sieger, sagt Großvater, dann stehen da wieder die Frauen und Mädchen und warten mit Blumen auf dich und Kuchen, die sie gebacken haben und halten Plakate hoch, auf denen WILLKOMMEN steht und DAS VATERLAND DANKT EUCH und solche Sachen, und dann spielt die Musik und dann gibt es Reden vom Bürgermeister und Medaillen und Orden und Freudentränen.

Im Krieg, sagt Großvater, da bestraft man dich nicht für das Schreckliche, das du getan hast. Nur die Träume, sagt Großvater, die kommen immer und immer wieder, und dann schreist du auf in der Nacht.

Im Krieg, sagt Großvater, da stirbt man. Aber die, die gestorben sind, die erzählen nichts.


Als die Soldaten kamen, versteckten wir uns in einer Höhle draußen in der Wüste. Wir hatten einen Sack aus Ziegenleder gefüllt mit Wasser, ein paar Laibe Brot und ein paar Feigen. Das war alles. Unsere zwei Ziegen hatten wir zurückgelassen. Ich war traurig, denn Großvater sagte, dass wir sie nicht wiedersehen würden. Die Soldaten würden sie töten und essen. Mutter weinte leise, aber sie ließ das Baby an ihrer Brust saugen, damit es nicht zu schreien anfing und unser Versteck verriet. Ich wusste, dass ich nicht weinen durfte, denn ich war ja schon ein großes Mädchen und Großvater sagte, dass ich alles verstehe wie eine Erwachsene. Ich durfte ganz leise mit Großvater sprechen. Nur gelegentlich hörte er ein Geräusch von draußen und dann musste ich still sein, damit er besser horchen konnte.
„Warum werden die Soldaten unsere Ziegen töten?“ fragte ich Großvater. „Mögen sie keine Milch?“
„Ach, die mögen schon Milch, aber Fleisch mögen sie lieber. Und vor allem wollen sie nicht, dass die Soldaten von König Babak die Ziegen essen.“
„Ist das nicht unser König, der König Babak?“
„So sagt man, ja.“
„Hätten wir da nicht die Ziegen mitnehmen sollen, um sie für die Soldaten von König Babak zu retten?“
„Die Ziegen hätten uns verraten. Und es ist gleich, ob die Soldaten von König Babak oder die Soldaten von König Ubuk sie essen.“
„Aber wenn König Ubuk den Krieg gewinnt, werden uns seine Soldaten dann nicht töten?“
„Nein. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir Tribut an König Ubuk zahlen müssen statt an König Babak. Das ist der ganze Unterschied.“
„Aber ist Babak nicht unser rechtmäßiger König und der Vater des Landes? Ist er nicht der Vater von uns allen?“
„Das sagen die Priester, ja. Aber vor ihm war Erek unser König und der Vater des Landes, und wir mussten im Tempel für seine Gesundheit beten. Dann hatten Babak und Erek Streit, weil Erek die Ehre von Babak besudelt hatte, und Babaks Armee besiegte Erek und Erek wurde getötet und Babak eroberte sein Land.“
„Hat nicht auch König Ubuk König Babaks Ehre besudelt?“
„So heißt es, ja.“
„War dann nicht Babak im Recht, für seine Ehre zu kämpfen?“
„Könige tun so etwas, ja.“
„Kämpfst du nicht um deine Ehre, Großvater?“
„Wir Bauern kämpfen nicht um unsere Ehre. Wenn der Priester mich ein faules Schwein nennt, weil ich ihm nicht genug Korn zum Speicher bringe, dann kann ich meine Ehre nicht verteidigen. Die Priester würden mich zu Tode peitschen lassen. Aber bei Königen ist das etwas anderes. Könige müssen lernen, ihre Ehre zu verteidigen.“
„Warum die Könige und die Bauern nicht?“
„Ach, wenn ein König die Ehre von einem anderen König besudelt, dann ruft der seine Armee zusammen und kämpft mit dem anderen König. Manchmal verliert er sein Leben in der Schlacht. Und manchmal wird der andere König getötet und der Sieger nimmt sich das Land des Verlierers und fügt es seinem eigenen Reich hinzu. Der Verlierer erfährt nicht, dass man auch sterben kann, wenn man seine Ehre verteidigt, weil er nämlich tot ist. Und der Sieger lernt, dass es sich lohnt, seine Ehre zu verteidigen. Als mein Großvater jung war, gab es in diesem Tal dreißig kleine Königreiche. Jetzt gibt es fünf große.“
„Weil die Könige Streit miteinander hatten? Weil ihre Ehre befleckt worden war?“
„Es war immer irgendwas von der Art.“
„Und war es immer schon so? Hat es immer schon Kriege gegeben, damit die Königreiche größer und größer werden können?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Großvater. „Mein Großvater hat gesagt, dass einmal eine Zeit war, wo es keine Könige gegeben hat, nur Bauern. Er hat gesagt, dass sie in Dörfern zusammen gelebt haben. Und dass sie von Krieg nichts gewusst haben. Ich kann mir vorstellen, dass es wahr ist, was Großvater gesagt hat. Warum sollten sie mit dem Nachbardorf kämpfen? Warum sollten sie ihnen ihr Land wegnehmen wollen? Ein Bauer kann nur so und so viel Land bebauen. Er hat keine Verwendung für mehr Land, als er mit seiner Familie beackern kann. Nun ja, vielleicht hatten sie viele Kinder und nach einiger Zeit gab es mehr Familien, die Land brauchten. Würden sie dann einen Kampf beginnen, um jemand anderem das Land wegzunehmen? Ich glaube nicht. Ich glaube, sie würden lieber das Land, das hatten, aufteilen, als einen Kampf zu beginnen und zu riskieren getötet zu werden. Und sogar, wenn sie einen Kampf beginnen würden, dann würden sie aufhören, wenn sie genug Land erobert hätten. Ihrer Gier wäre immer eine Schranke gesetzt, weil sie das Land selbst bebauen mussten. Aber die Gier eines Königs ist ohne Ende.“
„Ist denn ein König ein anderes Wesen als ein Bauer?“ sagte ich. „Ist es vielleicht eine andere Tierart, so wie Ziegen keine Schafe sind?“
„Ich glaube nicht“, sagte Großvater. „Wenn du den Sohn eines Bauern nimmst und ihn als einen König aufziehst, dann wird er alle die Dinge tun, die Könige tun.“
„Warum sind dann Könige anders?“
„Weil die Art, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen, eine andere ist. Mein Großvater sagte, dass es früher, in der alten Zeit, außer Bauern auch noch Jäger gegeben hat. Die haben auch nicht um Land gekämpft gegen einander. Jede Gruppe hatte ihr Jagdgebiet, und sie hatten keine Verwendung für größere Jagdgründe. Aber eines Tages wurde das Wetter trockener und die Wälder wurden kleiner und die Tiere in den Wäldern wurden weniger. Und die Jäger entdeckten ein neues Wild. Sie entdeckten die Speicher der Bauern, die gefüllt waren mit Saatgut für das nächste Jahr, und ihre Ställe mit Ziegen und Schafen und Schweinen. Sie stahlen von den Bauern und wenn die Bauern sich wehrten, töteten sie sie. Die Jäger konnten besser mit Waffen umgehen als die Bauern, sagte mein Großvater, weil sie sie jeden Tag benutzten. Und bald entdeckten sie, dass es für sie besser war, nicht alle Bauern umzubringen und ihnen nicht alles wegzunehmen. Denn wenn die Bauern überlebten und etwas Saatgut und etwas Futter übrig behielten, dann pflanzten sie wieder Korn und zogen wieder Tiere auf und im nächsten Jahr konnte man sie wieder ausrauben. Und ein paar schlaue Häuptlinge schlossen Verträge ab mit den Bauern und sagten ihnen: Wenn ihr mir jedes Jahr so und so viel Korn und so und so viel Vieh als Tribut gebt, dann beschütze ich euch gegen andere Räuber. So wurden die Jäger zu Kriegern und ihre Häuptlinge zu Königen.
Und für einen König ist Landbesitz ein anderes Ding als für einen Bauern. Weil ein König nämlich nicht selber arbeitet auf seinem Land. Er hat Bauern, die arbeiten und ihm Korn und Butter und Fleisch und Wolle und andere Dinge abliefern. Und der König isst und gebraucht das alles nicht selber. Er ernährt und kleidet damit seine Soldaten und Priester, die Schmiede, die ihm die Schwerter machen und die Bogner, die Pfeil und Bogen machen für die Soldaten und die Baumeister und Maurer, die Paläste und Tempel bauen. Und das alles gebraucht er, um mehr Land zu erobern, damit er mehr Tribut bekommt, damit er noch mehr Soldaten beschäftigen kann, die ihm noch mehr Land erobern und so weiter.“
„Aber wenn ein König nun einmal findet, dass er genug Land hat und genug Bauern, die für ihn und seine Soldaten arbeiten?“
„Dann muss er trotzdem fürchten, dass ein anderer König, der mehr Bauern und mehr Soldaten hat, ihm sein Land wegnimmt. Darum darf er nie aufhören, sein Reich und seine Armee zu vergrößern.“
„Also würde es keine Kriege geben, wenn es keine Könige gäbe?“ fragte ich.
„Wenn es keine Leute gäbe, die von anderer Leute Arbeit leben, dann würde das Kämpfen wenigstens nicht so endlos sein wie es jetzt ist. Vielleicht würde es keine Paläste geben und die Tempel wären kleiner und es würde nicht so viele Künstler geben, die so wunderbaren Schmuck und so herrliche Statuen machen, weil niemand sich so etwas leisten könnte. Die Teppiche wäre weniger bunt, aber dafür hätte jeder einen um darauf zu schlafen statt auf dem nackten Boden. Vielleicht würde es hie und da Streit und Kampf geben, aber die würden beendet werden.“
„Also wird das Kämpfen nie mehr aufhören?“ fragte ich Großvater.
„Vielleicht nach vielen tausend Jahren, wenn die ganze Welt ein einziges Reich geworden ist.“
„Aber können wir nicht so leben wie früher, als es noch keine Könige gab?“
„Ich glaube nicht“, sagte Großvater, „wie könnte das sein? Die Soldaten der Könige haben Schwerter und Bogen und Pfeile und was haben wir?“
„Aber wenn alle Bauern auf der Welt sich einigen würden, keine Könige und Soldaten mehr zu ernähren?“
„Das ist nicht möglich“, sagte Großvater. „Wer würde Boten zu ihnen allen schicken?“
Als die Soldaten abgezogen waren, war das Dorf leer. Alles Vieh war getötet oder weggenommen worden, alles Korn war aus den Speichern geholt und verbrannt worden. Sogar unsere Hacken und Sicheln waren fort. Großvater zeigte uns, wie wir im Fluss Fische fangen konnten, und welche wilden Kräuter wir kochen konnten, und irgendwie kamen wir durch die Trockenzeit. Als der Regen kam, wuchs etwas Korn auf den Feldern aus Samen, die bei der Ernte zu Boden gefallen waren, und wir buken keinen einzigen Laib Brot, sondern hoben alles Korn für die nächste Aussaat auf. Schritt für Schritt erweckten wir die Felder wieder zum Leben. Mutter starb und dann starb Großvater auch und mein kleiner Bruder heiratete ein Mädchen aus dem Nachbardorf und sie bekamen ein Kind.
Und eines Tages kamen die Soldaten.

Playlist:

Foot Village – Lovers with Iraqis – BY-NC-ND
Martin Auer – Im Krieg – BY-NC-SA
Sound: The Encounter – Song from South Iraq – BY-NC-ND
Martin Auer – Als die Soldaten kamen – BY-NC-SA
Rebecca Foon – Sunsets and Rockers – BY-NC-ND
Martin Auer – Angst – BY-NC-SA
Martin Auer – Noch einmal Angst – BY-NC-SA
A Magnifique Bande dos Homes sen Medo – Zappagnifique – BY-NC-ND
Martin Auer – Frieden beginnt bei dir selbst – BY-NC-SA
Lonnie Donegan – The Battle of New Orleans –
Martin Auer – Geschichte von einem guten König – BY-NC-SA
Debo Band – Addis Ababa Bete AlemayehuEshete – BY-NC-ND
Martin Auer – Der Sklave – BY-NC-SA
Kevin McLeod – Signation – BY

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